Apokalyptisches Weltbild

27. Juni 2007

Dokumentiere hier kurz einen Briefwechsel, den ich mit einem Aufsatzautor und Multiplikator zur Weißen Rose hatte. Es geht um den Stil der Weiße Rose Flugblätter, insbesondere der ersten vier Flugblätter, die für akademische Leser geschrieben waren. Im vierten Flugblatt heißt es beispielsweise:

Jedes Wort, das aus Hitlers Munde kommt, ist Lüge. Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg, und wenn er in frevelhaftester Weise den Namen des Allmächtigen nennt, meint er die Macht des Bösen, den gefallenen Engel, den Satan. Sein Mund ist der stinkende Rachen der Hölle, und seine Macht ist im Grunde verworfen. Wohl muss man mit rationalen Mitteln den Kampf wider den nationalsozialistischen Terrorstaat führen; wer aber heute noch an der realen Existenz der dämonischen Mächte zweifelt, hat den metaphysischen Hintergrund dieses Krieges bei weitem nicht begriffen. Hinter dem Konkreten, hinter dem sinnlich Wahrnehmbaren, hinter allen sachlichen, logischen Überlegungen steht das Irrationale, d. i. der Kampf wider den Dämon, wider den Boten des Antichrists.

In fast derselben Sprachform wird im vierten Flugblatt auch der romantische Dichter Novalis erwähnt. Diese apokalyptische Sprache ist ursprünglich eine jüdische, dort um die Zeit Jesu entwickelt, in der Bibel finden sich Zeugnisse im Buch Daniel und der geheimen Offenbarung des Johannes (Apokalypse). Es ist eine Zeit der großen Not.

Ich schrieb am 26.1.2007:

Ich weiß […], dass der Stil der Flugblätter der des Theodor Haecker ist, so sehr, dass man sich wundern muss, dass ihm nach der Festnahme der ersten drei Weiße Rose Mitglieder nicht mehr passiert ist. Selber ist aber mir – so wie allen Film-, Theater-, Rezensions- und Buchautoren zum Thema, die ich kenne – das apokalyptische Zeitverständnis Haeckers und der Flugblätter recht fremd. Mag es auf die damalige Zeit gepasst haben, auf die heutige passt es nicht. Wenigstens sehe ich nicht, wie es passen könnte.

Aus der Antwort von Herrn K., noch am selben Tag:

In meiner Bücherei finden sich sehr viele Bücher von Autoren, die seinerzeit vom Freundeskreis der Weissen Rose gelesen wurde. Der heutigen Zeit ist dieser christliche Existenzialismus und Personalismus weitgehend fremd. […]

Apokalypse: In vielen Büchern über die Weiße Rose wird das vierte Flugblatt einfach übergangen. Heute ist das nietzscheanische Zeitbild angesagt.

Ich zitiere wieder aus meiner Antwort (12.3.2007), schreibe etwas unscharf, weil die Hauptautoren des christlichen Personalismus wohl Henry Kardinal Newman und die Franzosen Claudel, Marcel, Bernanos, evtl. auch Maritain sind, die ich gar nicht erwähne. Bernanos hat etwas, ist aber ein wenig krass zu lesen. An Claudel komme ich nicht ran, kommt mir so unsinnig pathetisch aufgeladen vor, so, wie mir als Mittelstüfler Schiller vorkam. Der Christ Kierkegaard und der vom Christentum entfremdete Heidegger sind die Urväter des Existentialismus überhaupt: Sartre und Camus stehen für die nicht christliche Variante des Existentialismus um die Mitte des letzten Jahrhunderts. Existentialismus heißt sicherlich, dass man sich mit dem eigenen Sterben-müssen konfrontiert.

Der christliche Personalismus und Existentialismus: Kierkegaard kenn ich ein wenig und bin ziemlich fasziniert. Heidegger kenn ich auch ein wenig, mehr durch Erklärungen als dass ich Sein und Zeit wirklich verstünde, er lässt den zweiten Sprung von der Moral in den Glauben weg.

Apokalypse: Meint ihr, nur die Afrikaner, denen ihr Ackerland ausdorrt, müssen die Folgen des Klimawandels spüren. Nein, ihr werdet alle daran zugrunde gehen, wenn ihr nicht umkehrt. – so würde ich das Evangelium vom letzten Sonntag unabgemildert lesen. [Ich beziehe mich auf Lukas 13,1-5. Jesus spricht, nimmt Bezug auf Arbeitsunfälle und unmenschliche Taten seiner Zeit, wehrt sich dagegen, dass dabei jemand wegen seiner Sünde bestraft wird, prophezeit aber seinen Zuhörern ein böses Ende, wenn sie sich nicht ändern. Eine Deutung auch hier.]

Aber man ist selber halt so in seinem Trott drinne (und so werden die gewöhnlichen Leute zur Nazizeit auch gesagt haben.) Oder: wir versuchen ein paar kleine Sachen jetzt wenigstens in der Fastenzeit…
— Aber das ist irgendwie, das Maximum an Apokalypse, das ich verstehen kann. Mit nietzeanische Zeitbild meinen Sie, man sieht die Welt heute als Wiederkehr des immer Gleichen? Oder als rein irdischer Kampf um die Macht?

Was ist das Gegenbild zur apokalyptischen Weltanschauung, die mit dämonischen Mächten kämpft und auf den Weltenrichter hofft? Herr K., 13.3 schickt mir ein Zitat des Theologen Johann Baptist Metz:

„Das nietzscheanische Zeitbild der ewigen Wiederkehr des Gleichen sitzt ganz tief, und es zeigt sich in den Fluchtversuchen, in denen der Mensch heute Identität, die ihm ja nicht mehr vergönnt zu sein scheint, sucht, in Vorstellungen von Seelenwanderung, Reinkarnation usw. Ich meine, es gehört ungeheuer viel intellektuelle Zivilcourage dazu, eine Zeit mit Finale einzuklagen, eine Zeitvorstellung, die über das Wissen darum, daß das individuelle Leben kurz ist, hinausgeht.“

Der Apokalyptiker nimmt den Tod ernst, andere Lebenseinstellungen mögen den Tod ernst nehmen, die heute weit verbreitete nietzesche aber wohl nicht. Der Punkt ist, dass sie auch (oder gerade unter) Christen verbreitet sein soll. Natürlich kenne ich sie von innen her. Dennoch kontere ich am 16.3.2007. Eigentlich nehmen wir es nicht ernst, dass alles immer wieder das gleiche ist, so leben wir nicht:

Der Punkt ist doch, dass Handlungen ganz anders strukturiert sind als sonstige Naturprozesse, da gibt es Ziele.
Die Frage ist, ist die ganze Welt eher nach dem Modell einer Handlung gestrickt oder nach dem eines determinierten Ablaufes.

Die Menschen heute und früher kennen beides [Zielfixierung und nietzschesche Wiederholschleife], und ich glaube schon, dass jedem das Handlungmodell zunächst mal näher ist.
Dieses Handlungsmodell muss man aber nicht gleich apokyptisch lesen. (Soviel Exegese kenne ich ja nicht, aber Jesus hatte doch wahrscheinlich auch eine Phase seines Auftretens, in der er nicht von Endkampf und Endgericht redete.)

Klappt so ein alternative Modell zu Nietzsche, ohne dass man Jesus, den Weltenrichter, sehr bald erwartet (bzw. an der Welt verzweifelt)? Galliläischer Frühling?

5 Responses to “Apokalyptisches Weltbild”


  1. […] die aus Frankreich kommende Bewegung des Personalismus (Herr Knab gab mir diesen Hinweis, siehe hier): Aus dem Wiki-Eintrag dazu finde ich die Namen Newman und Mauritain in der Lektüreliste der […]

  2. Jakob Knab Says:

    „Ohne den Apokalyptiker Paulus und seine Sendungstätigkeit wäre das geschichtliche Projekt Europa, das, was wir später ‚christliches Abendland‘ nennen, undenkbar.

    Der Apokalyptiker Paulus ist offensichtlich auch keineswegs ein Untergangsfanatiker. (…) Der Horizont der befristeten Zeit macht die, die bewusst in ihm leben, weder zu Voyeuren noch zu Terroristen des eigenen Untergangs. Totalitäts- und aggressionsanfällig wurde das Christentum erst, seit es versucht, das apokalyptische Erbe völlig zu entzeitlichen: etwa durch strikte Moralisierung, also durch die Verwandlung der Eschatologie in Ethik.“ (Johann Baptist Metz, MEMORIA PASSIONIS. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralistischer Gesellschaft, Freiburg im Breisgau 2006, S. 130)

  3. Jakob Knab Says:

    Galiläischer Frühling?

    „Nach der Darstellung der ersten drei Evangelien folgte im öffentlichen Leben Jesu dem »Frühling in Galiläa« eine Zeit des Mißtrauens und der Bespitzelung durch die sadduzäischen Priester und die pharisäischen Gesatzesausleger; das ursprünglich begeisterte »Volk« ward verunsichert über die Radikalität, mit der Jesus die Öffnung für die »Armen« und »Sünder« in Israel lebte und lehrte. (…) Alles lief von einem bestimmten Zeitpunkt an auf eine Entscheidung hinaus, die Jesus offenbar bewußt in Jerusalem suchte. (Eugen Drewermann, Jesus von Nazareth. Bild eines Menschen, Düsseldorf 2008. S. 127)

  4. fangtunsdoch Says:

    Einverstanden, im Leben Jesu war es wohl recht schnell mit dem „galiläischen Frühling“ zu Ende.
    Dennoch: Es ging nicht erst danach, sondern schon während des „galiläischen Frühlings“ um Entscheidung: es muss nicht Tod und Teufel am Kämpfen sein, dass man sich entscheidet. Auch das „kehrt um und glaubt an das evangelium“, oder „(folgt) mir nach“ könnte genügen. Braucht man die böse Welt, den Kampf mit Tod und Teufel, oder endzeitlichen Ernst um heute (wenn man unter keiner NS-Diktatur lebt) gut sein zu können und gute Entscheidungen zu treffen?

  5. Jakob Knab Says:

    Frage: Braucht man die böse Welt, den Kampf mit Tod und Teufel, oder endzeitlichen Ernst um heute (wenn man unter keiner NS-Diktatur lebt) gut sein zu können und gute Entscheidungen zu treffen?

    Antwort: NEIN! Menschen sind mehr als das Produkt ihrer Zeit und mehr als das Ergebnis von Umständen! Wer eine biblische Antwort auf die Frage nach gut und böse sucht, wird in der „Versuchungsgeschichte“ (Mt 4, 1-11) fündig. Die Zusammenfassung aller Lehrreden Jesu findet sich im Abschluss-Gleichnis vom Großen Weltgericht (Mt 25, 41 – 46).

    Von Alfred Delp, der 2. Februar 1945 in Berlin hingerichtet wurde, stammt dieser anrührende Satz: „Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“


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